Hochalmspitze und Detmolder Grat

In den Hohen Tauern findet man zahlreiche lohnende und überaus bekannte Gipfel der Ostalpen. So lockt die Rieserfernergruppe mit dem bereits auf dem Normalweg anspruchsvollen Hochgall (3.436m), die Venedigergruppe mit dem Großvenediger (3.662m) oder die Glocknergruppe mit dem Großglockner (3.798m). Der Glockner ist nicht nur der höchste und laut Alpenvereinsführer "schönste" Berg Österreichs bzw. der Ostalpen, sondern auch der Beliebteste. So kann es am Normalweg vorkommen, dass Glocknerbesteigungen aufgrund von Seilsalat oder Warteschlangen an der Oberen Glocknerscharte scheitern. Wer auf solche Erlebnisse lieber verzichtet, kann sich prima in der benachbarten Ankogelgruppe austoben. Hier wartet bspw. die ähnlich herausfordernde Hochalmspitze (3.360 m) auf geübte Gipfelaspiranten.

Die Hochalmspitze, die liebevoll von den Einheimischen als Tauernkönigin bezeichnet wird, hat allerlei zu bieten. Neben Genusskletterei in exzellentem Fels (Südpfeiler, Stelle V, fast durchgehend III und IV) gibt es selten besuchte Eisanstiege (Gussenbauerrinne, 57°, Fels II-III) und luftige Grattouren, wie bspw. die Überschreitung der Hochalmspitze über den Detmolder Grat und der Abstieg über den Rudolstädter Weg.

Anfang Juli 2012 verbrachten wir einige Tage auf der Gießener Hütte (2.215m). Bereits die Anfahrt von Koschach zum Parkplatz unterhalb des Gößkarspeichers (1.707m) hatte ihren Reiz. Die enge Straße wand sich in steilen Serpentinen durch dichten Wald und immer wieder mussten wir Überresten von zahllosen Steinschlägen ausweichen. Es hatte stark geregnet, so dass an einigen Stellen massiv Wasser über die Straße floss. Vom Speicher aus folgten wir einem kleinen Wanderweg zur Hütte. Unterwegs fanden wir herrlich griffige Felsblöcke, die zum Bouldern einluden.
Neben ein paar freundlichen Sektionsmitgliedern, die an der Hütte werkelten, gab es in der ersten Nacht keine weiteren Gäste. Wir genossen das reichliche Abendessen und schmöckerten in einem vom Wirt zusammengestellten Hefter. Dort fanden wir zahlreiche Bilder und gute Hinweise zur geplanten Überschreitung.

Am nächsten Tag sind wir im Morgengrauen aufgestanden und gegen 5.00 Uhr von der Hütte bei unbestimmten Wetter losgezogen. Zu Beginn führte uns der Rudolstädter Weg über große Platten, die akribisch verlegt worden waren. So brauchten wir nicht auf unsere Füße achten und konnten den Sonnenaufgang genießen. An einem Abzweig hielten wir uns links und folgtem dem Schwarzenburger Weg. Wir stießen auf allerlei kleine Bäche und einige große Platten, die es zu überwinden galt. Nach knapp 1,5 Stunden hatten wir die steil abbrechende Lassacher Winkelscharte (2.862m) erreicht. Misstrauisch beobachteten wir die Schlechtwetterfahnen, die am Säuleck hingen und die dunklen Wolken an den Steinernen Mandln. Doch noch war es früh am Morgen, so dass wir unseren Weg zur Winkelspitze fortsetzten.

Der Weiterweg auf dem Gratrücken wurde uns ein wenig durch Firnreste und große Blöcke erschwert. Doch bald zogen wir auf dem Rücken nach links an die Abbruchkante und von dort ging es einfacher bergan (Stellen I). Immer wieder richtete sich unsere Aufmerksamkeit auf die schwer einzuschätzende Wetterlage. Große, dunkle Wolkenfetzen waberten um uns herum und versperrten uns die Sicht auf den Weiterweg. Bei unserer Ankunft an der Winkelspitze hatten wir nur für einen kurzen Moment freien Blick auf den Gletscher und den dahinterliegenden Klettersteig. Da sich das Wetter stetig verschlechtert hatte, wir den Weg nicht kannten und definitiv nicht bei schlechtem Wetter auf dem Grat sein wollten, entschieden wir uns für den Abbruch der Tour.

Gegen 10.00 Uhr standen wir wieder am Einstiegspunkt und machten - bevor es zurück zur Gießener Hütte ging - einen Absteicher zur Schneewinkelspitze (3.016m). Dazu stiegen wir in genussvoller Kraxelei über grobe Blöcke und stapften durch Firnreste in Richtung Säuleck. Der spät sichtbare Gipfel ist nicht mit einem Kreuz geschmückt, dafür fanden wir aber ein (absolut durchweichtes) Gipfelbuch. Leider konnten wir nur wenige Blicke auf die umliegenden Berge erhaschen. Für den Abstieg zur Hütte wählten wir die direkte Linie über ausgedehnte Schneerinnen und -felder. So konnten wir entspannt viele Höhenmeter abrutschen und am frühen Nachmittag wieder auf der Hütte sitzen und das leckere Abendessen genießen. Das befürchtete schlechte Wetter blieb an diesem Tage aus. Traurig waren wir keinesfalls, denn ein weiterer Tag war auf der Gießener Hütte eingeplant.

Der Hüttenwirt stufte das Wetter für den Folgetag als ebenso instabil ein, so dass wir uns für den kürzeren Aufstieg über den Rudolstädter Weg entschieden. Als ich am Morgen des 5. Juli gegen 4 Uhr erwachte, hörte ich ein Gewitter in der Ferne toben und entschied mich, noch ein wenig weiterzuschlafen. Gegen 6 Uhr hatten wir keine Lust mehr herumzuliegen und begaben uns zum Frühstück. Der Himmel war schwarz, es regnete Bindfäden und immer wieder donnerte es in unserem Tal. Nachdem wir uns den Magen vollgeschlagen hatten, besserte sich nicht nur unsere Laune, sondern auch das Wetter. Es hingen zwar überall noch dunkle Wolken, doch der Regen hatte aufgehört. Also zogen wir mit der Gewissheit los, dass wir den Gipfel nicht erreichen werden und einfach nur so weit gehen, wie es vertretbar und sicher ist.

Den Rudolstädter Weg empfanden wir als schön und unschwierig, bis wir zu einem Gletschersee gelangten. Dort trafen wir zunehmend auf Schneefelder und durften in leichter Kraxelei Platten und große Blöcke überwinden. Wie zu erwarten war, zogen neue Wolken auf und sanken soweit herab, dass die Steinernen Mandln darin versanken. Wir erahnten den 40° steilen Gletscherhang und legten bei eisigem Wind die Steigeisen an. Nachdem ich die ersten Schritte zurückgelegt hatte, gaben die Wolken die Steinernen Mandln frei und ich konnte einen Blick auf eine undeutliche Steigspur und den Felseinstieg erhaschen.

Nach ein paar schweißtreibenden Höhenmetern gelangte ich zur Randkluft. Diese war noch relativ gut mit Schnee überdeckt, so dass ich mich für eine schnelle, seilfreie Übersteigung entschied. Sobald der Gletscher ausgeapert ist, empfiehlt sich hier die Sicherung von unten mittels Eisschrauben. Auf dem Felsriegel angelangt, fand ich zwei Sicherungsringe vor, die ich sogleich nutzte, um meine Frau gesichert nachzuholen.

Von hier erstreckt sich einer der gut angelegten und unschwierigen, drahtseilversicherten Steige. Mit unserem Aufstieg über den steilen Gletscherhang hatten wir uns wissentlich entschieden, weiterzugehen. Doch an dieser Stelle zweifelten wir erneut. Es pfiff ein eisiger Wind um unsere Helme und wir froren. Alles war feucht und wirkte bedrohlich. Hin und wieder zog der Blick auf die Mandln frei. Dort oben war es jedenfalls schöner als am Einstieg. Also nichts wie weg von hier!

An den Mandln angekommen, folgte ein weiterer heikler Teil. Die Steigspur führt am zerklüfteten Gletscherrand entlang. Schneller und sicherer erschien es uns, die kritischen Stellen auf dem aus großen Blöcken bestehenden Grat zu umgehen. Als dieser anspruchsvolle Abschnitt gemeistert war, wurde der Grat wieder breiter und flacher und zog sich eine ganze Weile über grobes Geröll dahin. Aber Langeweile kam keine auf, denn hin und wieder bewegten wir uns auf schmalen und luftigen Abschnitten, bis endlich der zweite Steig mit Drahtseilversicherungen aus dem Nebel auftauchte. Nun war es nicht mehr weit und wir gelangten über einen schmalen und exponierten Gratabschnitt zum Gipfel. Welch ein Hochgefühl! Nun hieß es noch geschwind den Geocache "Die Tauernkönigin" (D2,5/T5) zu finden, was uns aber leider nicht gelang.

Aufgrund der nach wie vor sehr wechselhaften Wetterlage und der fortgeschrittenen Zeit wollten wir auf dem gleichen Weg so schnell wie möglich absteigen. Zunächst hatten wir Glück und der gesamte Grat zog frei und lag prächtig zu unseren Füßen. Zurück an den Steinernen Mandln donnerte es bedrohlich über uns. Vorausschauend hatten wir ein 30m Seil im Rucksack, mit dessen Hilfe wir uns schnell an den Sicherungsstiften abseilten. Zurück auf dem Felsriegel nutzten wir eine 60m Reepschnur (8mm), um geschwind den Gletscherhang hinter uns zu bringen. Gerade als wir wieder auf dem flachen Schneefeld standen, gab es zunächst Hagel, der wenig später in Regen überging. Nachdem die Regenhose und -jacke angezogen waren, kam die Sonne heraus und brachte uns kräftig zum Schwitzen. Doch bevor es unangenehm warm werden konnte, wurden wir durch feinen Regen wieder abgekühlt.

Zurück an der Hütte labten wir uns an dem guten Essen, warmem Tee und herzlichen Gesprächen. Wir sind durchaus zufrieden mit den letzten beiden Tagen. Die Hochalmspitze war sicher bestiegen. Eines Tages kommen wir wieder, um die Überschreitung zu vollenden. Ausgeschlafen und gut gelaunt stiegen wir am nächsten Tag ab, testeten die knackigen Boulderprobleme und bereiteten in unseren Köpfen bereits die nächste Tour vor.

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Die beschriebene Tour stammt aus dem Buch "Hochtouren Ostalpen. 100 Fels- und Eistouren zwischen Bernina und Tauern". Edwin Schmitt und Wolfgang Pusch haben mit diesem Buch ein Standardwerk geschaffen, das bei keinem Hochtourengeher im Regal fehlen darf. Es wird jeder Schwierigkeitsgrad bedient, so dass selbst Hartgesottene auf ihre Kosten kommen. Die Beschreibungen und das Kartenmaterial sind perfekt. Absolute Kaufempfehlung!

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