Das Haus mit den vielen Namen in der Zwickauer Straße 152 ist weit über die Grenzen von Chemnitz bekannt. In den 1990er und frühen 2000er Jahren nannte man es beispielsweise "Kraftwerk". Zu dieser Zeit malträtierte hier die Crème de la Crème des Metals ihre Instrumente (u.a. Paradise Lost, Unleashed, Cradle of Filth, Old Man's Child) und die Industrial Szene gab sich die Klinke in die Hand. Das Darkstorm Festival erblickte 1997 das Licht der Welt und ließ es am 26. Dezember im Kraftwerk so richtig abgehen. Über die Jahre trafen sich unter der Adresse Project Pitchfork, Die Krupps, Crematory, In Extremo, Theatre of Tragedy, Letzte Instanz, Front 242, VNV Nation und Phillip Boa & The Voodooclub. Aber auch der Hip Hop kam hier nicht zu kurz. Fettes Brot gab sich 1997 ein Stelldichein und 1998 fand das Splash! Festival zum allerersten Mal u.a. mit Afrob und den Harlekinz statt.
Die traditionsreiche Geschichte des mittlerweile zum Lost Place verkommenen Gebäudes beginnt im Jahre 1886 mit der Errichtung durch einen gewissen Herrn Böttcher, der zu diesem Zeitpunkt Eigentümer der benachbarten Feldschlößchen-Brauerei war. Das Gebäude fungierte bis 1904 unter dem Namen "Colosseum" als Festsaal und bot 1.300 Leuten Platz . Kurz nach der Jahrhundertwende änderten sich im Rahmen einer Zwangsversteigerung die Eigentumsverhältnisse. Der neue Eigentümer - die "Actien Lagerbierbrauerei Schloß-Chemnitz" - hielt das Gebäude allerdings nur wenige Jahre und verkaufte es 1904 an die SPD. Die Partei benötigte für ihre Versammlungen dringend neue Räumlichkeiten und baute das mittlerweile unter dem Namen "Volkshaus" geführte Gebäude in den folgenden zwei Jahrzehnten wesentlich aus. Neben Büroräumen für die Partei- und Gewerkschaftsleitung entstanden ein großer Saal mit Konzertgarten und 21 Herbergszimmer mit insgesamt 60 Gästebetten.
In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen modernisierte die SPD das Volkshaus etappenweise. Das gesamte Gebäude wurde mit elektrischem Licht ausgestattet und eine Heizung inklusive Lüftung wurde eingebaut. Auch entstanden ein Bierkeller und ein Spielplatz. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 endet die große Ära des Volkshauses. Das Gebäude wurde samt Grundstück und Mobiliar beschlagnahmt und der betreibende Verein der SPD zum 24. Januar 1934 aufgelöst. Für die nächsten Jahre wurden die Räumlichkeiten als Unterbringung für ausländische Zwangsarbeiter genutzt.
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wurde das Objekt in Volkseigentum überführt und bis 1989 vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) genutzt. Zwar "firmierte" das Gebäude als "Klub der Jugend und Sportler Fritz Heckert", aber im Sprachgebrauch blieb der Name "Volkshaus" erhalten. In dieser Zeit bildete sich auch der wenig einfallsreiche Spitzname "Heckhaus Fritz Clubert" heraus. Dies mag wohl darauf zurückzuführen sein, dass hier neben Konzerten und Bällen auch Diskos und Tanzstunden stattfanden und sich die pickligen Jugendlichen bis zum Hecken näher kamen.
Nach der Wende übernahm die Chemnitzer Stadtverwaltung das Objekt und es erfolgte eine erneute Namensänderung. Beinahe patriotisch nennt man das Volkshaus nun "Haus zur Einheit". In den folgenden Jahren siedelten sich das Schulverwaltungsamt und einige weitere Vereine an. In den 90er Jahren fasste irgendwann der Kraftwerk e.V. Fuß und übernahm 1999 die alleinige Bewirtschaftung des riesigen Ungetüms.
In den gut 40 Jahren Mangelwirtschaft der untergegangenen DDR scheint die Bausubstanz so maßgeblich gelitten zu haben, dass die Stadt im Jahr 2003 den Auszug aller Betreiber und Mieter veranlassen musste. Da man sich der Geschichte des Objekts bewusst ist, wurde das Volkshaus in die Liste der Chemnitzer Kulturdenkmäler aufgenommen. Allerdings hat sich bis heute kein Investor gefunden, der das Areal erwerben und sinnvoll nutzen will. Spätestens seit der Zerstörung des Dachstuhl durch Brandstiftung im Jahr 2012 ist die Zukunft des Objekts fraglich. Und wie so oft hat die "uneingeschränkte" Begehbarkeit dem Volkshaus erheblich zugesetzt. Von der Inneneinrichtung ist nicht viel geblieben. Hunderte Graffitis "zieren" die Wände und überall ist Moder und Dreck. Bleibt zu hoffen, dass der Denkmalschutz diesen geschichtsträchtigen Lost Place im Herzen Chemnitz vor dem Abriss bewahren wird.
Quellen und weitere Links
- Beitrag auf chemnitzgeschichte.de
- Beitrag von der SPD Chemnitz
- archivierter Multi auf geocaching.com
Mittlerweile hat ein Investor - neben zahlreichen anderen Gebäuden - das "Haus der Einheit" erworben. Ab 2020 soll die Sanierung beginnen. Der neue Eigentümer plant, 15 Millionen Euro zu investieren, um anschließend die gut 60 entstandenen Eigentumswohnungen für 4.000 € pro Quadratmeter zu verkaufen. Da sind wir gespannt ;)
Bisher ist nix zu erkennen. (2021)