Kanada: Warum Du den West Coast Trail nicht wandern solltest

Steht es mir zu, Dir den West Coast Trail abspenstig zu machen, ohne den wohl "bekanntesten und anspruchsvollsten Trekkingweg Kanadas" jemals gegangen zu sein? Natürlich nicht! Aber ich möchte Dir ein paar Anregungen geben, die Dir bei Deiner Planung ganz bestimmt helfen. So kannst Du schnell eine für Dich passende Mehrtagestour entlang der wilden Küste Vancouver Islands finden. Und letztendlich möchte ich Dir erzählen, warum wir den West Coast Trail endgültig von unserer Liste gestrichen haben.

Wir durften bereits den Juan de Fuca Marine Trail (September 2007) und den North Coast Trail (August 2016) erleben und haben zwei Wochen die grandiosen Strände des Olympic National Parks in Washington (Juli 2010) erkundet. Dabei besuchten wir die Shipwreck Coast, den Ozette Loop, den Point of the Arches und Cape Flattery. Unser Fitness- und Erfahrungslevel ist passabel. Wir treiben mindestens zwei Mal die Woche Sport, fahren viel Rad, sind aktive Boulderer und Paddler. Unsere Abenteuer haben uns in entlegene Ecken in Äthiopien, Kanada, Nepal, Grönland und Peru geführt, wo wir stets als Selbstversorger unterwegs waren.

Lass uns zunächst einen Blick auf die harten Fakten der drei bekanntesten marinen Trails auf Vancouver Island werfen.

Der West Coast Trail (WCT)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde entlang der berüchtigten Süd- und Südwestküste von Vancouver Island der "Dominion Lifesaving Trail" für Schiffbrüchige errichtet und unter schwierigen Bedingungen von den First Nations instand gehalten. 1950 verlor der Rettungsweg aufgrund des technischen Fortschritts in der Schifffahrt an Bedeutung. Erst in den 1970er Jahren wurde der Trail erneut instand gesetzt und als "West Coast Trail" einer touristischen Nutzung zugeführt. Seit 1973 ist der WCT Teil des Pacific Rim-Nationalparks.

Für Dein Abenteuer auf dem West Coast Trail benötigst Du zwischen 5 und 7 Tage. Der Trail ist vom 1. Mai bis 15. September geöffnet. Während der Hochsaison ab dem 15. Juni sind nur 75 Wanderer pro Tag auf dem Trail erlaubt. Du musst zwingend das Reservierungssystem des Parks nutzen, doch leider sind die Plätze heiß begehrt. Die sog. "Standby Spaces" gibt es seit 2018 nicht mehr. Du legst auf dem WCT 75 anstrengende Kilometer zurück und darfst mit mehreren Seilbahnen Flüsse überqueren. Den West Coast Trail erreichst Du problemlos mit Deinem Auto und/ oder per Shuttle. Tagestouren sind nicht möglich, allerdings kannst Du an den Nitinaht Narrows die Tour verkürzen.

Der North Coast Trail (NCT)

Der North Coast Trail wurde im Mai 2008 fertiggestellt und erweitert in östlicher Richtung den Cape Scott Provincial Park. Der NCT hat keine nennenswerte, historische Vergangenheit wie der WCT. Der Trail entstand aus der Motivation, Teile des gemäßigten Regenwaldes vor der vollständigen Abholzung – liebevoll Clear Cut genannt – zu schützen und eine wirtschaftlich bedeutsame Touristendestination für den äußersten Norden Vancouver Islands zu etablieren.

Während Dir der Cape Scott Provincial Park ein über 100km langes Wegenetz bietet, ist der eigentliche North Coast Trail 43 schwere Kilometer lang. Von Trailhead zu Trailhead sind es 58km. Du kannst Deine Zeit auf dem Trail und im Park beliebig ausdehnen, solltest aber 5 bis 8 Tage für Deinen Trip einplanen. Eigentlich kannst Du jederzeit den NCT besuchen, allerdings raten die meisten Guides von Herbst- und Winterbegehungen aufgrund heftiger Stürme und extrem hoher Wasserstände der Flüsse ab. Zwar gibt es wie auf dem West Coast Trail Seilbahnen, doch diese werden in den stürmischen Monaten abgebaut und zwingen dich zu lebensgefährlichen Flussüberquerungen. Es gibt keine Limitierung hinsichtlich der maximalen Besucherzahl auf dem Trail, eine Reservierung entfällt damit. Richtig flexibel bist Du dennoch nicht, denn die Anreise von Vancouver ist lang und Du bist auf ein Wassertaxi angewiesen, das Du unbedingt frühzeitig buchen solltest.

Juan de Fuca Marine Trail (JdF)

Der Juan de Fuca Marine Trail liegt südlich des West Coast Trails und gehört historisch ebenso zum Dominion Lifesaving Trail wie der WCT. Die beiden Pfade treffen in Port Renfrew aufeinander, sind aber nicht direkt miteinander verbunden. Der JdF wurde 1994 eröffnet, ist 47km lang und liegt im Juan de Fuca Provincial Park. Du bist zwischen 4 bis 6 Tagen unterwegs und bewegst Dich zu großen Teilen im beeindruckenden, aber finsteren Regenwald. Hin und wieder gibt es herrliche Ausblicke auf steile Küstenabschnitte und das darunterliegende Meer. Leitern oder Seilbahnen gibt es hier keine.

Der Juan de Fuca Marina Trail ist der einzige der hier vorgestellten Trails, bei dem Du einzelne Abschnitte als Tagestouren absolvieren und auch die schönsten Strände direkt vom Highway 14 aus erreichen kannst. Ein Reservierungssystem gibt es nicht, der Trail und die Strände stehen Dir jederzeit uneingeschränkt zur Verfügung. Mittlerweile ist die Zivilisation sehr nah an den Juan de Fuca Provincial Park gerückt, so dass Du hier unablässig auf Surfer, Hipster, grillende Familien und grölende Party-Meuten stößt. Eine Besonderheit des Juan de Fuca Trails ist, dass hier Hunde erlaubt sind. Doch Du solltest Dir genau überlegen, ob Du Deinen treuen Gefährten nicht lieber daheim lässt, da Hunde nicht selten Stress mit Bären und Wölfen verursachen.

Welcher Trail passt denn nun zu mir?

Die Antwort ist relativ einfach, falls Du noch nie Mehrtagestouren mit schwerem Gepäck unternommen hast, das gerne einmal ausprobieren und Vancouver Island kennenlernen möchtest. Unter diesen Umständen ist der Juan de Fuca Trail ganz klar Deine erste Wahl. Hier kannst Du schnell herausfinden, ob Dir solche Touren Spaß machen, ohne tief in die Tasche greifen zu müssen. Du kannst jeden Tag abbrechen und findest mit Sicherheit eine Rückfahrtgelegenheit in die nahe Zivilisation.

Ganz bewusst habe ich keine Aussagen zur Schwierigkeit der Trails getroffen oder eine Bewertung vorgenommen. Immer wieder wirst Du die Aussage finden, dass der West Coast Trail der anspruchsvollste Trekkingweg Kanadas sei. Das ist meiner Meinung nach eine ziemlich überzogene Äußerung, die rein der Vermarktung des Trails und der Steigerung des Selbstwertgefühls bzw. dem Aufpolieren des eigenen Egos dienen soll. Alle hier vorgestellten Touren musst Du ernstnehmen. Die Schwierigkeit hängt vielmehr von der Jahreszeit, der Witterung, dem Schlamm unterwegs, dem Gewicht und der Güte Deiner Ausrüstung und Deinem Trainingszustand sowie Deiner persönlichen Erfahrung mit Touren in der Wildnis ab. Obwohl der Juan de Fuca Trail bspw. keine Leitern und Seilbahnen hat, kann er Dich bei Dauerregen völlig fertigmachen.

Der Hype um den West Coast Trail hat dazu geführt, dass Du während der Hauptsaison mit vielen Wanderern gleichzeitig unterwegs sein wirst. Diese Horden an Menschen schrecken Wildtiere auf und ziehen – bspw. durch unachtsamen Umgang mit dem Proviant oder Hygieneartikeln – Bären an. Es kann durchaus vorkommen, dass Du Dir mit 40 anderen Abenteurern den Strand teilen musst. Dabei wirst Du auf überfüllte Bear Locker stoßen und Dich mit Müllbergen Anderer herumschlagen müssen. Und dann ist da noch "Chez Moniques" Burger-Stand. Sicherlich ist es cool, dass eine Familie der First Nations auf ihrem Land Geld verdienen will und "ausgehungerten" Wanderern seit fast 30 Jahren Burger für $25 rüberschiebt. Wir denken, dass das der Tour den Reiz, den Hauch des Abenteuers, das Gefühl, in der Wildnis zu sein und damit den Charakter genommen hat. Damit strichen wir den West Coast Trail von unserer Liste.

Falls Du hingegen Ruhe und die raue Wildnis suchst sowie Null Wert auf große Namen legst, dann ist der North Coast Trail die richtige Wahl. Hier gibt es keine Zeltstädte oder hippe Tageausflügler, die an den Stränden herumgrölen. Hier findest Du eine große Vielfalt an wilden Tieren und stößt an keiner Stelle auf Kommerz. Zwar wurde der Trail angelegt, um eine Touristendestination zu schaffen, doch davon merkt man bis heute nichts bzw. erfolgte dies auf eine sehr schonende und bedachte Weise. Auf dem North Coast Trail kannst Du tiefe Einsamkeit erleben.

Letztendlich ist das genau die Frage, die Du dir bei der Planung stellen solltest. Was ist mein Anreiz und meine Sehnsucht, mich in die Wildnis zu begeben? Oder anders gefragt: will ich eigentlich in die Wildnis? Oder mag ich einfach nur ein bisschen am Lagerfeuer abhängen?

    Mit Hilfe der folgenden Tabelle erhältst Du noch einen besseren Überblick über einige Kriterien, die die Trails auszeichnen und voneinander unterscheiden.

     West Coast TrailNorth Coast TrailJuan de Fuca Trail
    Dauer (in Tagen)5 bis 75 bis 84 bis 6
    Verfügbarkeit15.5. bis 15.9.keine Limitierung, gefährliche Überquerungen von Flüssen im Herbst/ Winterkeine Limitierung
    Reservierungab 15.Juni, 75 Wanderer pro Tagn/an/a
    Distanz75km43 bzw. 58km, maximal 100km47km
    Landschaft9/108/107/10
    BesonderheitenSeilbahnen, Burger Restaurant, ZeltstädteSeilbahnen, isolierte Lageeinfach erreichbar
    Kosten pro Person

    $280 inkl. Kosten für Reservierung, Campsites, Shuttle nach Bamfield

    $250 inkl. Kosten für Campsites, Wassertaxi, Shuttle nach Port Hardy

    $160 inkl. Kosten für Campsites, Shuttle von Bamfield nach Victoria

    Anspruch Anreise3/5
    Shuttle-Bus
    4/5
    Wassertaxi, Shuttle-Bus
    2/5
    Shuttle-Bus
    Tagestourenneinneinja
    Hunde erlaubtneinneinja
    Abgeschiedenheitvolle Campsites, Zeltstädte,
    hauptsächlich Wanderer
    wenige Wanderer auf dem NCT, im westlichen Teil des Parks Camper mit GrillStrände gut erreichbar, dadurch Hipster mit Grill sowie Tagesgäste
    Empfohlen für...Leute, die großen Namen nachjagen und nach wenigen Tagen Junk Food vermissenLeute, die die Einsamkeit suchenLeute, die noch nie in der Wildnis campen waren

    Gibt es da noch mehr?

    Falls Du verspürst, dass selbst der North Coast Trail mit seiner Anreise via Wassertaxi noch zu weichgespült ist, dann schau Dir unbedingt den Nootka Trail und den Hesquiat Peninsula Trail an. Bei unseren Recherchen sind wir auf diesen beiden anspruchsvollen Touren auf Vancouver Island gestoßen. Aktuell fällt es uns noch schwer, die Trails zu beurteilen, denn Du findest recht spärlich Informationen (vor allem über den Hesquiat Trail) und wir sind die beiden selbst noch nicht gegagen. Du vielleicht? Dann lass doch gern einen Kommentar zurück und berichte uns von Deinem Abenteuer :)

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