Radtour im Dreiländereck: Oberlausitz, Isergebirge und Riesengebirge

Schnaufend schiebe ich mein Fahrrad den steilen, steinigen Weg im Zick Zack bergauf und der Schweiß rinnt mir den Rücken hinab. In diesen Momenten verfluche ich den einrädrigen Fahrradanhänger und das viele Gepäck, das wir mitgenommen haben. Der Ortskern von Spindlersmühle liegt hinter uns und ich frage mich, was wohl die restlichen 110km unserer Tagesetappe noch zu bieten haben. Vergnügt, dass ich schieben muss, überholt mich meine Frau. Ich spiele den Eingeschnappten, meckere lautstark herum und wedle mit einer Hand in der Luft. Dabei verliere ich kurz die Kontrolle über mein Rad und wieder einmal verkantet sich der Anhänger. Bevor es mich in den Dreck haut, fange ich mein Gefährt ab und füge mich in mein Schicksal, von einem Mädchen überholt worden zu sein :) In Wahrheit kann meine Laune nicht getrübt werden, denn der 3-tägige Trip von der Oberlausitz zur Schneekoppe und zurück hat sich mehr als gelohnt.

Tag 1

Die Tour beginnt an einem schönen Montagmorgen Anfang Oktober in Großhennersdorf. Unsere alten Mountain Bikes sind gut geölt und alles Gepäck ist im Fahrradanhänger verstaut. Zusätzlich haben wir noch einen Trinkrucksack und eine Lenkertasche mit den nötigen Werkzeugen und Snacks dabei. Zur Orientierung setzen wir auf unser Smartphone und die Komoot App, mit der wir die gesamte Tour geplant haben. Laut App liegen 281km und 5.100Hm vor uns zzgl. des Aufstiegs auf die Schneekoppe. Gegen 9.00 Uhr brechen wir auf. Bisher bin ich noch nie mit einem Fahrradanhänger gefahren und merke bereits nach den ersten Metern, dass ich ordentlich pedalieren muss, um mit der gewohnten Geschwindigkeit voranzukommen. Nach gut 2,5km haben wir die erste Panne. Meine Bremse schleift und nachdem wir noch einmal umgekehrt sind, um den fehlenden Innensechskantschlüssel zu holen, kann uns nichts mehr aufhalten.

Die ersten Kilometer über Hirschfelde und entlang des Neiße-Radwegs an der B99 Richtung Zittau kennen wir gut. Ist erst einmal der Anstieg zum Steinberg genommen, läuft das Rad wie von selbst. Wir passieren das Dreiländereck von Deutschland, Polen und Tschechien und überqueren den unspektakulären Grenzübergang nach Hrádek nad Nisou. Nahezu sofort steigt uns der Geruch von verbrannter Kohle, Koks und sonstigem, brennenden Hausrat in die Nase. Sogleich fühlen wir uns in unsere DDR-Kindheit zurückversetzt.
Es ist für mich das erste Mal, auf tschechischem (und später polnischem) Territorium mit dem Rad unterwegs zu sein. Aufmerksam betrachte ich die sanften Hügel, den Verlauf der Neiße und bin erstaunt über die ärmlichen Häuser entlang des Weges. Hier im Grenzgebiet findest Du viele verfallene und heruntergekommene Häuser, Höfe und Industriebrachen. Ein wahres Paradies für Dich als Lost Place Fan.

Für Abstecher in solche Objekte ist diesmal keine Zeit. Wir konzentrieren uns auf unsere Tour, machen hin und wieder kurze Pausen zum Fotografieren und Essen und erreichen bei Kilometer 50 den "Einstieg" ins Isergebirge. Wir passieren die letzte, kleine Siedlung und folgen einem befestigten, steilen Forstweg hinauf auf die Iser-Magistrale. Auf den folgenden 16 Kilometern müssen gut 580Hm überwunden werden, wobei die meisten Höhenmeter auf den ersten Kilometern zu schrubben sind. Danach hält der Kammweg angenehm die Höhe und wir können relaxt Kilometer abspulen.

Schon bald ziehen Nebelschwaden auf und der Weg ist anfangs feucht und später - als wir den Asphalt hinter uns lassen - wunderbar matschig. In den höheren Lagen ist es bereits empfindlich kalt und wir freuen uns, Handschuhe und Mütze eingepackt zu haben. Entlang des Weges gibt es viel zu entdecken. Obwohl hier oben der Herbst schon weit vorangeschritten ist, wirkt die Gegend dennoch einladend.
Aufgrund der ganzjährig ergiebigen Niederschläge gibt es hier zahlreiche Sümpfe, die teilweise über Holzstege erforscht werden können. Am Fuße des zweithöchsten Gipfels - dem Jizera (Sieghübl, 1.122m) stellen wir unsere Räder ab und erkunden eine solches Moor. Bis auf einen weiteren Radfahrer treffen wir auf der Magistrale nur noch 2 Wanderer. Herrlich einsam hier oben!

Immer wieder stoßen wir auf einige kleine Siedlungen. Die Häuser wirken heimelig und gepflegt, scheinen aber aktuell größtenteils leerzustehen. Bei Kilometer 92 verlassen wir das Isergebirge und düsen hinab Richtung Rokytnice nad Jizerou. Der erste Tag endet nach 100km im Hotel Helena. Es sind nur eine handvoll weitere Gäste mit uns im Hotel. Wir werden freundlich empfangen, bekommen ein schönes Zimmer und schlemmen für kleines Geld im hauseigenen Restaurant. Wir dürfen unsere Räder und den Anhänger - der interessiert begutachtet wird - in einem abgeschlossenen Raum parken und ziehen uns bald auf unser Zimmer zurück. Im Oktober ist in dem beliebten Skigebiet sowieso nichts los ;)

Tag 2

Nach einem ausgiebigem Frühstück und einer Shopping Einlage im Supermarkt um die Ecke, beginnt der zweite Tag unseres Trips. In einem kurzen Anflug von Todesangst durch Verhungern kaufen wir tonnenweise Schokolade und Wasser, was nun alles in meinem Anhänger verstaut wird. Scheinbar war ich gestern zu schnell unterwegs. Das wird sich heute beim Anstieg ins Riesengebirge sicherlich ändern. Als erster Tagesordnungspunkt steht ein fieser, steiniger und zum Schieben einladend steiler Feldweg auf dem Programm. Es sind gut 325Hm zu überwinden, um danach die folgenden 15km bis Jilemnice (Starkenbach) rollen zu können. Allerdings beschweren wir uns wenig. Denn nach dem gestrigen Nebel werden wir heute von einer angenehm wärmenden Sonne verwöhnt, die die Felder und Wiesen golden erstrahlen lässt.

Ein besonderes Highlight auf dieser Etappe ist die 8,35 Kilometer lange Werksseilbahn zur Beförderung von Kalkstein. Kurz hinter Kunčice werden wir diesem archaischen Bauwerk gewahr. Es ist die längste Seilbahn Mitteleuropas. Sie wurde in den 1960er Jahren erbaut und befördert heute noch mit seinen 250 Loren bis zu 800t Kalkstein pro Tag. Die Seilbahn endet am Steinbruch in Černý Důl, einer ehemaligen Bergmannssiedlung am östlichen Fuße des Riesengebirges. Unser Weg führt entlang der quietschenden und stark verrosteten Seilbahn, bis wir schließlich bei Kilometer 141 in Černý Důl ankommen. Heute ist der Ort ein Touristenmagnet - vor allem im Winter. Für uns ist er lediglich der Beginn eines extrem langen Anstiegs zur Schneekoppe.

Nach Černý Důl wird es malerisch. Wir lassen die hübschen Häuschen hinter uns und folgen einem langgezogenen Tal, das stetig ansteigt. Unser Ziel der zweiten Etappe ist die Dvorská bouda (1.311m). Bis zu dieser schönen Baude sind noch 13km und 720Hm zu überwinden. Zunächst geht es durch dichten Laubwald, vorbei an Zeitzeugen des Erzbergbaus bis wir schließlich in schütter bewaldetes Areal gelangen. Erstaunlicherweise liegt hier die natürliche Waldgrenze auf 1.200m Höhe.
Entlang der anfangs noch asphaltierten Straße laden einige Bänke zur Rast ein. Die Chance nutzen wir und genießen das tolle Wetter und den Ausblick. Der letzte Streckenabschnitt des heutigen Tages führt uns über grobe, steinige Wege bis hinauf zu unserer Baude.

Die zweite Etappe ist zwar die kürzeste, dennoch sind wir recht müde und hungrig. Am späten Nachmittag hat es spürbar abgekühlt und unsere Lust, weitere 10km und 300Hm (einfache Strecke) bis zum Gipfel der Schneekoppe auf uns zu nehmen, hält sich in Grenzen. Ohne Gepäck radeln wir noch bis zum Punkt "Kaplička" auf 1.509m Höhe, genießen den Sonnenuntergang und das subalpine Flair. Anschließend rasen wir zurück zur Baude, um dort ausgiebig zu schlemmen. Nach einem herzhaften böhmischen Essen bereiten wir uns auf die morgige, lange Rückfahrt vor und gehen früh zu Bett.

Tag 3

Wir stehen früh auf, verputzen unser Frühstück und verabschieden uns von der Schneekoppe. Zu Beginn schlagen wir spontan einen ungeplanten Weg ein, der uns auf schmalen Pfaden und Holzstegen durch ein Moor führt. Gegen 10 Uhr erreichen wir bei bestem Wetter Špindlerův Mlýn (Spindlermühle) und bestaunen die junge Elbe, die bei gutem Pegel teilweise wuchtiges Wildwasser (III bis IV) bietet. Aufgrund der knapp 126km, die vor uns liegen, bleibt nicht viel Zeit, um die Elbquelle, den Pantsche- oder den Elbfall zu bestaunen. Bis Harrachov dürfen wir zahlreiche steile Auf- und Abfahrten meistern. Mehrfach fluche - Du erinnerst Dich an die Story anfangs - und schiebe ich, bis wir bei Kilometer 194 auf die junge Mumlava (Mummel) stoßen.

Wir folgen auf den nächsten vier Kilometer dem bezaubernden Wildbach. Auf dieser Distanz überwindet er stolze 230Hm. Die anspruchsvolle Strecke bietet Schwierigkeiten bis zu Wildwasser V und einen 10m hohen Wasserfall sowie schräge Platten und feinste Boofstellen. Immer wieder halten wir an, schießen Fotos und ergötzen uns an dem Flusslauf. Dieser Abschnitt ist mein persönliches Highlight, das mich ganz vergessen lässt, dass mich ein Mädchen überholt hat.

Hinter Harrachov folgen drei ätzende Kilometer auf einer Bundesstraße, die uns zur polnischen Grenze führt. Erleichtert, dem Straßenverkehr entronnen zu sein, cruisen wir noch einmal für 20 entspannte Kilometer durch das Isergebirge entlang des Grenzverlaufs. Ein erneuter Grenzübertritt zurück nach Tschechien, 30 zähe Kilometer auf stark befahrenen Landstraßen vorbei an Frýdlant und dann ein weiteres "Highlight" der Tour. Rechts neben uns tritt das Kraftwerk Turów mit seinem gleichnamigen Tagebau in Erscheinung. Erstaunt betrachten wir im Dämmerlicht die riesige Grube, widmen uns aber schnell der Weiterfahrt. Es ist längst dunkel, als wir die Ortseinfahrt Großhennersdorf passieren.

Glücklich und erschöpft beschließen wir den Tag bei einem guten Essen und lassen die Tour Revue passieren. Die großartigen Momente überwiegen. Wir wurden freundlich aufgenommen, haben gut gespeist und oftmals Einsamkeit und Ruhe verspürt. Es gibt wunderschöne Flecken auf dieser Runde. Einzig der Abschnitt ab Nové Město pod Smrkem (Neustadt an der Tafelfichte) hätten wir uns sparen können. Besonders die Gegend um Frýdlant lässt sich nicht gut mit dem Rad befahren.

Auch war das Tagespensum aufgrund des Anhängers relativ hoch. Ein zusätzlicher Reisetag mit einer Etappe durch ruhigeres Gefilde würde die Unternehmung landschaftlich aufwerten und hinsichtlich des körperlichen Anspruchs etwas abmildern. So bliebe Zeit, um noch einige der großartigen Sehenswürdigkeiten unterwegs besuchen und genießen zu können.

In diesem Sinne, schnapp Dir den Track und radle ihn ab! Ich freue mich auf Deine Meinung und Routenalternativen.

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